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We want to save the internet: FHWS-Student Ley ruft zum Start eines „Internet Archaeology Institute“ auf

06.08.2021 | thws.de, Pressemeldung, FG
Alle Menschen sind dazu aufgerufen, an der Überlieferung digitaler Kulturen teilzuhaben – ein Interview

Das digitale Erbe für künftige Generationen bewahren: Dies ist das Ziel von Richard Ley. Er ist Student an der Fakultät Gestaltung an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt. „Ein großer Teil der heutigen Kultur findet im Internet statt. Deshalb müssen wir anfangen, darüber nachzudenken und darüber zu sprechen, wie wir unser neues digitales Erbe für künftige Generationen bewahren.“ Seine Idee: das Internet Archaeology Institute. Der Student erläutert seine Methoden zum Konzept und die Ideen zu sogenannten digitalen Kulturartefakten – digitalen, von Menschen geschaffenen Kulturgegenständen.

Was ist gemeint mit „Internet“?

Der Begriff „Internet", so Ley, „ist im Sprachgebrauch und öffentlichen Diskurs oft fehl am Platz. Er wurde zum Synonym für das, was in der Infrastruktur Internet passiert — die Akteur:innen, Ereignisse, Gemeinschaften und Unternehmen im Netzwerk. Diese Ungenauigkeit mündet zwangsweise in Verallgemeinerungen, Vereinfachungen und Stereotypisierungen.“ Das Internet ermögliche einerseits den Zugang zu ursprünglich analogen, digitalisierten Kulturen und Kulturgütern. Zur gleichen Zeit fänden im Internet ununterbrochen digitale kulturelle Ausdrücke statt. Ley: „Menschen posten, kommentieren oder generieren Daten einfach nur dadurch, dass ihr Verhalten und Browserverlauf getrackt wird. Wir handeln und kommunizieren im Netzwerk — auf Basis von oder entgegen kultureller Prägung. Deswegen ist das Internet ein Netzwerk von Kulturen — also ein digitaler Kultur(en)raum.“

Digitale Kulturen sind unbeständig

Digitale kulturelle Ausdrücke, so der Student, seien verschiedenen Gefahren ausgesetzt:

  1. dem technischen Wandel selbst: Dieser ließe Datenträger und Dateiformate obsolet werden.
  2. der eigenen schieren Masse: Die sekündlich entstehenden unermesslichen Datenmengen könnten nicht bezwungen und erst recht nicht für ewig gespeichert werden. Es stelle sich die Frage, was erhaltenswert sei.
  3. Digitale Kulturen seien hauptsächlich den Entscheidungen der Plattformen ausgesetzt, denen sie entspringen: Diese haben vornehmlich wirtschaftliche Interessen, die vor kulturellen oder konservatorischen Bedenken zu jeder Zeit Vorrang haben. Somit stellten Datenverluste, Löschungen oder Firmenübernahmen wie -auflösungen reale Bedrohungen für den Erhalt digitaler Kulturen dar.

Eine neue Art der Überlieferung

Mit seinem geplanten Institut möchte der Gestaltungsstudent einladen, an der Konservierung und Überlieferung digitaler Kulturen teilzuhaben: „Wir stellen Informationen und Ressourcen zur Verfügung, präsentieren und verbreiten Artefakte. So hoffen wir, eine neue Art demokratischer kultureller Überlieferung zu schaffen, die sich kritisch mit ihrem Material auseinandersetzt und alle Interessierten dazu einlädt.“ Ihm ginge es um Autonomie für die eigenen kulturellen Ausdrücke. Richard Leys drei Vorhaben:

  • Aushub: „Wir finden, graben, restaurieren, bewahren und präsentieren digitale kulturelle Artefakte.“
  • Bildung: „Wir stellen Ressourcen für Bildung und Empowerment zur Verfügung.“
  • Vertrieb: „Wir verbreiten Artefakte, um ihre Weitergabe an künftige Generationen zu gewährleisten.“

Ein Interview mit Richard Ley:

Nach welchen Kriterien kann hier ein Archiv entstehen?

Ein Internet-Archiv würde sich ausschließlich mit Exponaten und Ausdrücken beschäftigen, die auch dem Internet entspringen - zumindest so, wie ich es mir in meinem Projekt vorstelle. Für die Aufbewahrung aller anderen Quellen und Kulturgüter gibt es ja schon seit Jahrhunderten gut funktionierende Strukturen und Institutionen: städtische und nationale Archive, Bibliotheken und Museen. Sowas gibt es online bisher fast gar nicht, das ist eigentlich Wilder Westen.

Welche Medien sollen gewählt werden: Fotos, Filme, Flyer, Poster, Briefe, Texte, posts, podcasts…?

Das Besondere am Internet ist eben genau die Multimedialität, also dass sowohl Netflix-Filme, als auch Goethe-Texte in dem gleichen Hypertext zusammenfließen. Das muss bei der Archivierung berücksichtigt werden, sonst wird man dem nicht gerecht. Ich würde alle Medien einschließen - vom Facebook Kommentar bis hin zum Video-Essay. Eine wichtige Unterscheidung sollte man aber treffen, und zwar zwischen Digitalem und Digitalisiertem. Ursprünglich analoge Quellen, die digitalisiert und online gestellt wurden, sollten meiner Meinung nach nicht der Fokus sein. In meiner Arbeit nenne ich es „digitale Artefakte”: Alle Daten, die im Netzwerk durch menschlichen Einfluss entstehen. Das stellt den Menschen natürlich erst einmal vor eine enorme Masse an Material.

Wer entscheidet, welche Informationswege genutzt werden: Welche Informationen sind „wichtig“, welche werden weggelassen?

Das ist die ganz große, schwierige Frage unserer Generation. Es gibt einfach so unendlich viele Daten und Informationen, die im Internet entstehen und herumschwirren - ohne dass sich jemand wirklich um sie kümmert. Internetunternehmen sind im Zweifelsfall nur am Erhalt von Daten interessiert, die sich zu Geld machen lassen. Und die User selbst haben ja keinen direkten Zugriff darauf. Die Idee des Internet Archaeology Institute ist, sich diese Autonomie zurückzuholen: Im Kern geht es darum, Menschen auf das Problem aufmerksam zu machen und sie in einem zweiten Schritt zur Teilhabe einzuladen. Alle sollen an der Überlieferung mitwirken dürfen und eben auch demokratisch entscheiden, was überliefernswert ist und was nicht. So umgeht man Gatekeeping und Machtstrukturen, die (Geschichts-)überlieferung ja durchaus teilweise innehat.

Wie werden Infos / Bildmaterial klassifiziert oder auch in Kontext gestellt?

Ein Internetarchiv muss meiner Meinung nach auch (aber nicht nur) im Internet stattfinden. Das macht die Kontextualisierung einfach und direkt: In meinem Projekt arbeite ich mit Quellenverweisen immer als Links, damit Informationen zurückverfolgt werden können und User immer die Möglichkeit haben, sich weitergehend zu informieren. Je mehr verschiedene Quellen, desto besser.

Was ist mit posts und reposts, was mit Kommentaren, die unter die Gürtellinien gehen?

Die gehören wohl oder übel auch dazu. Wenn es stattfindet, darf man es nicht ausklammern, so schmerzhaft das teilweise auch ist. Direkt reproduzieren sollte der Mensch die Inhalte deswegen aber nicht. Ich denke, man kann es erwähnen und erklären, ohne es zeigen zu müssen.

In welcher Form sollen die Infos gespeichert werden?

In meinem Projekt habe ich mich dazu entschieden, die Informationen und Ausdrücke zu „manifestieren”, also zu analogen Artefakten zu machen und so zu speichern. Das ist natürlich eine von vielen Möglichkeiten und mag erstmal komisch klingen. Ich fand diesen Weg interessant, weil ich Artefakte interessant finde: Sie sind Zeitzeugen der Vergangenheit und erlauben deshalb einen direkten Kontakt mit Geschichte. Ich persönlich würde im Museum immer am liebsten alles anfassen. Vor allem sind analoge Gegenstände aber länger haltbar als digitale Daten. Deswegen habe ich beispielhaft Ausdrücke aus dem Internet in Ausstellungsobjekte transformiert und auf der Website vorgestellt und erklärt.

Wer hat Zugriff darauf?

Alle!

Wie findet man Infos?

Durch Online-Recherche. So können zum Beispiel Quellen direkt verlinkt werden, damit andere Zugriff darauf haben.

Wer sichert die Daten und wie geht man mit Hacks um?

Die Artefakte des Internet Archaeology Institute werden sicher eingelagert, ich stelle mir das ein bisschen wie den Saatgut-Tresor Svalbard vor. Was die Daten angeht, braucht es einerseits Sicherungskopien und Kopien der Sicherungskopien. Andererseits muss vielleicht beim Hosting - also Bereitstellen der Daten und Webseite - umgedacht werden: weg vom Hosting auf einem Server hin zu anderen dezentralen oder sogar crowdbasierten Modellen. Da gibt es meines Wissens aber noch keine etablierte Lösung für jedermensch.

Werden Regierungen (vor allem nicht so lupenreine Demokratien) versuchen, Geschichtsfälschung zu betreiben?

Das Risiko besteht auf jeden Fall. Soziale Medien sind ja zum Beispiel bekanntermaßen Opfer politischer Einflussnahme und schaffen es bis heute nicht, dem effektiv entgegenzuwirken. Ein Internetarchiv muss dagegen schon im Aufbau, also in der innersten Struktur, gewappnet sein. Dafür gibt es verschiedene technologische Strategien, zum Beispiel kann man Daten mit einem digitalen Fingerabdruck schützen, der sich ändert, sobald sich an der Datei etwas ändert.

Ich sehe das Risiko von Einflussnahme oder Zensur im Moment tatsächlich eher bei den Internetunternehmen, also den Plattformen selbst. Weil es diesen Unternehmen theoretisch sehr einfach möglich wäre. Auch deswegen halte ich es für so relevant, die Überlieferung digitaler Informationen und Kulturen in die Hand zu nehmen und offen und demokratisch zu gestalten.

Kontakt: Richard Ley

01578-8275663

mail[at]richardley.de

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