Regionaltourismus: FHWS-Professor forscht zum Reiseverhalten während der Pandemie - und danach
Regionaltourismus: Gerade in Zeiten der Pandemie ein sehr gefragtes Thema. Prof. Dr. Knut Wiesner von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt beschäftigt sich mit dem Reiseverkehr – als private Unternehmungen wie als Gemeinschaftsaufgabe regionaler Tourismusakteure. In vielen Regionen, so der Experte, der bis 2018 an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen die Bereiche faires Management und Marketing, Tourismus- und Destinationsmarketing sowie internationales Management und Marketing vertrat, könnten zum einen die professionelle Tourismusarbeit ausgebaut und die Präsentation als Reiseziel mit profilierter Marke optimiert werden. Zum anderen haben sich die Bedürfnisse von Privatreisenden pandemiebedingt angepasst. Wiesner forscht auf Basis der Daten der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. – FUR, der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT), dem Deutschen Tourismusverband e.V. (DTV), dem Deutschen Heilbäderverband (DHV), der dwif-Consulting GmbH, dem Verband Deutsches Reisemanagement e.V. (VDR), dem Verband Internet Reisevertrieb e.V. (vir), dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club sowie weiteren regionalen Tourismusorganisationen zum Thema „Regionaltourismus“.
Ein Interview mit dem Wissenschaftler:
Sie sind ein ausgewiesener Experte im Bereich Tourismus und Destinationsmarketing. Regionaltourismus ist ein Thema, das in Zeiten der Pandemie höchste Aktualität hat. Ist der regionale Tourismus gut aufgestellt für die Wünsche der Urlauberinnen und Urlauber?
Überwiegend ja, es zeigt sich, dass relativ viele Deutsche Urlaub in deutschen Regionen schätzten. Der Inlandstourismus war von Rückgängen im ersten Pandemie-Jahr deutlich geringer betroffen als der Auslandstourismus. Deutschland führte als Reisedestination in Europa: 2019 übernachteten hierzulande 496 Millionen Gäste, gefolgt von Spanien mit 470 Millionen, Frankreich mit 447 Millionen, Italien mit 434 Millionen und Österreich mit 128 Millionen Reisenden (Deutsche Zentrale für Tourismus 2020, Jahresbericht 2019 Reiseland Deutschland).
Haben die Destinationsmanagement-Organisationen (DMO) eine professionelle Präsentation und Vernetzung sowie optimale Angebote bereitgestellt?
Viele ja. Allerdings gibt es Unterschiede, insbesondere viele kleinere Regionen haben einen deutlichen Nachholbedarf, da ihnen die Mittel fehlen. Kooperationen haben ihre Vorteile und bieten meist größere Ressourcen. Nicht überall werden die Möglichkeiten einer klaren Profilierung und Positionierung genutzt.
In der Pandemie stieg die Nachfrage nach Möglichkeiten des Radfahrens, Wanderns, des Campings und Caravanings: Waren / sind die örtlichen Anbieter und Verbände darauf gut vorbereitet?
Es gibt viele Destinationen, die gut ausgestattete Caravan-Stellplätze und Zeltplätze anbieten. Sehr viele Regionen bieten auch gut ausgeschilderte und gepflegte Wander- und Radwege für Aktiv- und Naturtouristen. Wanderer geben in den Regionen fast zehn Milliarden Euro aus, der Radtourismus erzielt den gleichen Umsatz. In Deutschland gibt es 350 ausgezeichnete Qualitätsradrouten. Viele Fernwanderwege sind erst in den letzten zwanzig Jahren entstanden und stark frequentiert.
Statt langfristiger Urlaubsplanung werden vermehrt (auch aufgrund instabiler Verhaltensmaßnahmen im Zuge der Pandemie) sehr kurzfristig Urlaube / ein Törn / eine Tour geplant: Wie sieht es hier beim Regionaltourismus mit der gewünschten Flexibilität und Kulanz bei Buchungen / Umbuchungen / Stornierungen aus?
In diesem Punkt ist das Bild sehr gemischt, da vielen regionalen Tourismusakteuren das „Wasser bis zum Hals steht“. Die Tourismuskonzerne geben aber den Takt vor: Bei diesen gibt es sehr kulante Stornierungs- und Umbuchungsmöglichkeiten. Gibt es noch regionale Einschränkungen oder drohen neue, werden überall Ersatztermine angeboten. Großzügige Umbuchungs- und Stornierungsbedingungen wünschen sich deutlich mehr als die Hälfte der Deutschen, fast die Hälfte will auch eine gesicherte (ggfs. kostenlose) Heimreise, wie die Reiseanalyse 2021 zeigte.
Rund die Hälfte der Reisewilligen möchte mit dem Ausflug / der Reise kein Risiko eingehen und wünscht vor Ort einen hohen Standard an Hygiene und medizinischer Versorgung. Wie wirkt sich dies auf die Gestaltung von Reisen aus?
Nach der Reiseanalyse 2021 wünscht sich mehr als jeder zweite Deutsche angemessene Hygienemaßnahmen in der Destination und Unterkunft. Eine gute medizinische Versorgung im Notfall und mehr Abstand/Platz sind ebenfalls wichtige Kriterien bei den Reisen. Daher sind Ferienhäuser und -wohnungen besonders beliebt. Enge Hotels und Restaurants dürften Probleme haben, die Gäste zu überzeugen. Daher werben Hotels mit Hygienesiegeln und Abstandsregeln.
Die Ansprüche der Reisenden sind oft hoch: Urlaub soll der Gesundheit und Erholung dienen, Kultur ist gewünscht. Bei geschlossenen Geschäften, Sport-/Wellnessangeboten und Kulturanbietern kein einfacher Ansatz. Welche Angebote kann hier der Regionaltourismus anbieten? Spielt die Digitalisierung eine zentrale Rolle?
Eine Öffnung vieler Angebote und Sehenswürdigkeiten ist bereits erfolgt oder ist in Kürze zu erwarten. Solange behelfen sich z.B. Museen mit digitalen Angeboten. Die digitale Besuchererfassung, -lenkung und Zugangsbeschränkung werden ebenfalls zu einem noch wichtigeren Thema unter Nutzung künstlicher Intelligenz (KI). Schon vor der Pandemie gab es Konzepte, großen Besucherandrang und „Overtourismus“ zu vermeiden. Die Gäste werden zu stark besuchte Regionen meiden, um keine gesundheitlichen Risiken einzugehen. Einzelne Destinationen bieten bereits digitale Rundgänge an.
Statt Fernurlaub mit dem Flieger in große Städte lieber Regionalaufenthalte per Rad auf dem Land: Spielen hier Umweltaspekte, der Klimaschutz eine Rolle?
Die Natur ist sehr geschätzt, dient aber häufig nur als Kulisse für unterschiedliche touristische, insbesondere sportliche Aktivitäten. Umweltschutz oder der Schutz, Erhalt der Natur ist dabei nicht zwangsläufig impliziert. Doch können sich durch Naturtourismus neue Chancen für Regionen ergeben, die Natur zu schützen und gleichzeitig die Region nachhaltig zu entwickeln. Umwelt- und Naturschutz ist kein dominanter Reisegrund, aber immer mehr Reisende freuen sich über Angebote mit umwelt- und naturverträglichem Zusatznutzen.
Wird die Reiselust schnell wieder ansteigen?
Das ist zu erwarten, viele Deutsche sehnen sich nach Urlaub, Entspannung und Erholung. Selbstverständlich lassen sich nicht alle ausgefallenen Reisen nachholen, aber in zwei bis drei Jahren dürfte zumindest das Inlandsreiseniveau von 2019 wieder erreicht werden, wenn die Pandemie besiegt oder zumindest „gezähmt“ ist. Impfzertifikate und problemlose Tests werden dabei helfen. Der internationale Tourismus und Geschäftsreisen werden deutlich länger benötigen, um das frühere Niveau wieder zu erreichen.