Studierende der THWS an Bohrmaschine, c Stefan Bausewein

Interesse und Engagement in der Politik: „Soziale Arbeit - (un-)politisch und (un-)professionell?“

13.07.2018 | thws.de, Pressemeldung, FAS
Die DGSA-Sektion „Politik Sozialer Arbeit“ tagte zur politischen Partizipationsbereitschaft an der FHWS

Die Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) tagte an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt im Rahmen politischer Partizipationsbereitschaft zum Thema „Politik Sozialer Arbeit - Ist Soziale Arbeit (un-)politisch und (un-)professionell?“ Teilgenommen hatten ca. fünfzig Fachbesucher.

Die Ausgangslage sei folgendermaßen: Der Sozialen Arbeit fehlt es nicht an moralischen Einlassungen über soziale Zusammenhänge. Aber wie geht die Profession mit den damit zusammenhängenden politischen Aufträgen um? Welchen Einfluss kann sie auf Politik und Gesellschaft nehmen? Partizipieren Studierende Sozialer Arbeit politisch? Kann eine Zusammenarbeit von Sozialer Arbeit und Politik gelingen? Was sagen die Haltungen von Studierenden Sozialer Arbeit über die politische Schlagkraft der Profession? Die Sektion „Politik Sozialer Arbeit“ der (DGSA) hat aktuell eine umfangreiche Befragung zu politischen Einstellungsmustern von Studierenden durchgeführt. Auf Basis dieser Ergebnisse sowie mit weiteren Erkenntnissen zu Einstellungen und politischer Beteiligung, Gleichheit und Qualität der Demokratie diskutierte die Fachgruppe zusammen mit Experten, Studierenden und einem interessierten Publikum an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Vorbereitet wurde diese Tagung, die von der Sektion Politik Sozialer Arbeit zusammen mit dem Campus Community Dialogue der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften veranstaltet wurde, von Professor Dr. Dieter Kulke, Professor für Soziologie.

Professor Dr. Oscar Gabriel von der Universität Stuttgart referierte zunächst auf der Grundlage der neueren Befunde der empirischen Forschung den Zusammenhang zwischen politischer Partizipation, politischer Gleichheit und der Qualität der Demokratie. Er untersuchte, wie sich die politische Beteiligung in Deutschland seit der Jahrtausendwende entwickelt hat, ob sich der soziale Bias in der Wahrnehmung der vorhandenen Beteiligungsrechte verstärkt hat und wie sich direktdemokratische und deliberative, argumentative Beteiligungsformen in diesen Zusammenhang einfügen. Die Bürgerbeteiligung wurde hier als „Herzstück der Demokratie“ herausgestellt. Mithilfe des Civic-Voluntarism-Modells machte Gabriel deutlich, dass die Faktoren des Bildungszugangs, Beschäftigungszugangs und Einkommenszugangs einen deutlichen Einfluss auf das Partizipationsniveau haben. Anhand des European Social Surveys (ESS) zeige Deutschland im EU-Vergleich die größte Kluft bei der Partizipation zwischen ressourcenschwachen und ressourcenstarken Menschen. Auch zeigten Untersuchungen von 2002 bis 2014, dass sich zwar eine Mehrheit an Wahlen beteilige (70 bis 75 Prozent), sich jedoch nur Minderheiten an Unterschriftenaktionen (25 Prozent EU; 30 Prozent Deutschland), Boykotten (17 Prozent Deutschland D) oder Demonstrationen (7 Prozent EU; 9 Prozent Deutschland) teilnahmen. Den Kontakt zu Politikern nahmen ca. 15 Prozent auf und ca. vier Prozent leisten Parteiarbeit; dabei blieben die Werte im Längsschnitt relativ stabil.

Zudem zeigte sich in sechzig Jahren Existenz von Volkbegehren und Volksentscheiden, dass durchschnittlich in jeder Gemeinde nicht mehr als ein Verfahren durchgeführt wurde. Des Weiteren konnte das Partizipationsniveau bisher nicht durch eine Ausweitung an Angeboten dauerhaft erhöht werden. Die zehn Prozent der Bevölkerung, die politisch inaktiv seien, könnten bislang gar nicht erreicht werden. Somit zeige sich, dass hohe politische Partizipation eine Minderheitenarbeit sei, jedoch im Ländervergleich in post-autoritären Ländern geringer ausfalle als in skandinavischen Ländern.

Anschließend berichteten Sandra Majer von der Universität Konstanz und Professor Dr. Dieter Kulke von der FHWS Ergebnisse zweier umfangreicher Studierendenbefragungen. Majer stellte anhand der Ergebnisse des 13. Studierendensurveys dar, dass zwar bei Studierenden allgemein ein erhöhtes politische Interesse von ca. 40 Prozent besteht, Studierende an der Hochschulpolitik jedoch ein sehr geringes Interesse zeigen (acht Prozent) und lediglich ca. sechs Prozent gelegentlich an niederschwelligen Formen wie der Fachschaft teilnehmen. Dabei bestätigten sich die von Gabriel vorgestellten Verhältnisse über die Minderheit politisch Aktiver sowohl in der Gesamtbevölkerung, als auch bei Studierenden. Die Studierenden der Sozialen Arbeit heben sich hier nicht von anderen Studierenden ab. In den politischen Zielen stimmen Studierende der Sozialen Arbeit und der Sozialwissenschaften prosozialen und altruistischen Zielen mehr und bei wirtschaftsliberalen, sowie technologischen Zielen weniger zu als die der Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften.

Auch die Ergebnisse der bundesweiten Studierendenbefragung (Sozialer Arbeit) durch die DGSA-Sektion Politik Sozialer Arbeit – ausgewertet und vorgetragen von Professor Kulke – zeigte Ähnlichkeiten zu der von Majer geschilderten Ergebnisse: So gab es eine hohe Zustimmung zu einem politischen Auftrag Sozialer Arbeit, jedoch spiegele sich dies nicht in den politischen Aktivitäten wider. Innerhalb des Studiums zeige sich ein Anstieg des politischen Interesses nach dem Praxissemester und eine überdurchschnittliche Zufriedenheit (gemessen am European Social Surveys) mit der Demokratie als Staatsform. Neben einer deutlichen Linkstendenz zeigten sich die Partizipationsebenen verstärkt in Aktionen wie Petitionen, Foodsharing, Demonstrationen und Kundgebungen. Eine Veränderung im Professionsverständnis sei sich auch zwischen Bachelor- und Masterstudierenden festzustellen. So finde eine leichte Verlagerung des Fokus von der Klientel hin zur Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession statt. Ob diese Veränderungen im politischen Verständnis der Sozialen Arbeit dem Studium oder schlichtweg dem zunehmenden Alter geschuldet sei, müsse noch geprüft werden. Ein weiterer interessanter Befund sei, dass mit zunehmender Zufriedenheit der Demokratie die politische Aktivität abnehme.

Abgerundet wurde die Tagung durch eine Podiumsdiskussion mit Dr. Hülya Düber, Leiterin des Jugend-, Familien- und Sozialreferats der Stadt Würzburg, Michael Leinenbach, 1. Vorsitzender des Deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit, Professor Dr. Günter Rieger, Duale Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart, Katharina Simpfendörfer, Studentin des Master Soziale Arbeit an der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften, und Kathrin Speck, Geschäftsführerin des Paritätischen in Unterfranken. Moderiert wurde die Runde von Professorin Dr. Andrea Dischler, Katholische Stiftungshochschule München, und Professor Dr. Jens Wurtzbacher, Katholische Hochschule für Sozialwesen, Berlin. Einerseits zeigte sich, so Kulke, aus der Praxis ein Zuwachs an Anforderungen für Mitarbeiter und an Komplexität der Fälle bei schwacher Stellenbesetzung und fehlenden Fachkräften. Neben diesen Barrieren, die eine politische Aktivität im Beruf erschweren, existierten auch unterschiedliche Bedingungen, wie die Verpflichtung zur politischen Neutralität von Behörden. Aus Sicht von Studierenden und Professorinnen wurde nahe gelegt, dass eine Verantwortung im Studium – sowohl bei Lehrenden als auch bei Studierenden – liege und Politiklehre nicht bei der Wissensvermittlung enden darf, sondern die fehlenden Übungsfelder für die Wahrnehmung des politischen Auftrags Sozialer Arbeit stärker implementiert werden müssen. Die Wichtigkeit informeller Bildung und der Notwendigkeit, die Hochschulen zu einem „Ort des Lebens“ zu gestalten, wurden betont. Auf dem Podium waren sich alle Diskutanten einig, dass genug Themen in der Sozialen Arbeit vorlägen, die eine stärkere politische Arbeit erforderten. Wie dies konkret aussehen könne, wurde an einem Beispiel aus Würzburg gezeigt: In einem Stadtteil, dessen Wahlergebnisse auf eine gewisse Unzufriedenheit der Bevölkerung schließen ließen, wurde versucht, über das Quartiersmanagement Menschen zu erreichen, die in der Regel weniger auf den klassischen Wegen versuchen, ihre Interessen zur Sprache zu bringen und weniger am politischen Leben teilhaben. Hier solle nun über Professionelle der Sozialen Arbeit ein kontinuierlicher Austausch zwischen Bürgern und kommunalen Entscheidungsträgern eingerichtet werden.

Zum Hintergrund:

Das Anliegen der Sektion Politik Sozialer Arbeit der DGSA ist es, Lehrende, Forschende und Praktizierende aus dem Feld der Sozialarbeitspolitik und politischen Sozialen Arbeit im fachlichen Diskurs zusammenzuführen. Erfahrungen der politischen Praxis Sozialer Arbeit sollen im wissenschaftlichen Diskurs systematisch erhoben und analysiert werden; ebenso werden Anfragen aus der Praxis forschend aufgegriffen. Welchen Platz nimmt die Politik in Theorien der Sozialen Arbeit ein? Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen Sozialer Arbeit und Politik systematisch begreifen? Politikwissenschaftliche Methoden werden in Zusammenhang von sozialarbeiterischer / sozialpädagogischer Forschung gesetzt, politikbezogenen Fragestellungen auf Relevanz für Soziale Arbeit angeschaut. Zudem werden Standards und Didaktik definiert, die die Lehre weiterentwickeln können.