Studierende der THWS an Bohrmaschine, c Stefan Bausewein

Heutzutage toppt bei Jugendlichen das WLAN über den legendären Tischkicker

14.02.2018 | Pressemeldung, FAS
Experten diskutierten im Landratsamt über Jugendhilfe im Zeitalter der neuen Medien

Früher war ein Jugendzentrum „cool“, wenn es einen Tischkicker hatte. „Heute ist es für Jugendliche wichtig, dass sie ein schnelles WLAN vorfinden“, so Klaus Rostek, Jugendhilfeplaner im Würzburger Kreisjugendamt. Dass junge Leute heute so viel Zeit mit virtuellen Medien verbringen, mögen Ältere bedauern – wo blieben da die „echten“ Erlebnisse? Doch Smartphone und Internet gehören zur Lebenswirklichkeit junger Menschen dazu, weshalb sich auch die Jugendhilfe dieses Themas annimmt.

Sinn und Zweck von Jugendhilfe sei es, jungen Menschen ein förderliches Umfeld zu bieten, in dem sie psychisch und physisch optimal heranwachsen könnten. Die Jugendhilfe greife nicht erst dann ein, wenn junge Menschen Probleme in der Familie hätten oder mit dem Gesetz in Konflikt kämen, betonten Experten beim 21. „forum jugendhilfe“, an dem 85 Fachleute und Kommunalvertreter aus Stadt und Kreis Würzburg und darüber hinaus teilnahmen. Die Fachtagung war mit dem Titel „Sozialraumorientierte Jugendhilfe 2.0“ überschrieben, zu dem die Regierungsrätin Eva-Maria Löffler zwei Mitarbeiterinnen des Zentrums Bayern Familie und Soziales - Bayerisches Landesjugendamt aus München begrüßte.

Der Titel wies auf zwei Tatsachen hin: Zum einen bedeute moderne Jugendhilfe nicht mehr, sich mit einem bestimmten „Fall“ eines Jugendlichen zu beschäftigen, der, warum auch immer, in eine schwierige Lebenslagen geraten sei. „Wir sprechen heute vom ‚Fall im Feld’“, betonte Kreisjugendamtsleiter Hermann Gabel. Das „Feld“, in dem sich Jugendliche bewegen, sei gleichzeitig mehr als der konkrete Ort, wo sie wohnten, wo sie zur Schule gingen und nach der Schule Freunde träfen. Das weltweite Netz, die „Welt 2.0“, gehöre zum Sozialraum eines jeden Jugendlichen unabdingbar dazu.

Wer das ignoriere, könne Jugendliche heute nicht mehr erreichen, betonte Klaus Rostek. So hätten Teenager neue Möglichkeiten und Mittel, sich zu informieren und auszutauschen. Zu damaligen Zeiten, als der Kickertisch das unbestrittene Highlight im Jugendzentrum gewesen sei, wurde mit Flyern auf den nächsten Event, etwa die nächste Disco, hingewiesen. Inzwischen könnten Jugendliche mit Flyern kaum noch etwas anfangen. Selbst Homepages seien für viele „out“. Was wo los sei, würden sie über soziale Medien wie Facebook erfahren.

Seit inzwischen zehn Jahren arbeitet das Kreisjugendamt nach dem Konzept der „Sozialraumorientierung“. Das käme bei den freien Trägern der Jugendhilfe sowie bei den Gemeinden im Landkreis sehr gut an, erfuhren Studierende der Würzburger Hochschule (FHWS) im Rahmen zweier Recherchen im Auftrag des Jugendamts, wobei die freien Träger in ihrer eigenen Arbeit den Sozialraum ebenfalls in den Fokus nehmen. Die jungen Sozialwissenschaftlerinnen befragten zum einen Vertreter der Städte, Märkte und Gemeinde des Landkreises und zum zweiten Vertreter freier Trägern zur Zufriedenheit mit der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt. Das Ergebnis: Die Kooperation werde von den Trägern mehrheitlich positiv gesehen.

Im Landkreis gäbe es Menschen, die sich ehrenamtlich für die Diakonie, die Caritas, das Rote Kreuz oder andere Wohlfahrtsverbände engagierten und zu lebendigen, sozialen Räumen beitragen würden, so Schrappe. Sie werden in erster Linie von Bürgern geprägt, die sich da, wo sie leben, dafür engagieren, dass sich die Lebensbedingungen verbesserten. Schrappe warnte in diesem Zusammenhang vor zu viel und zu vorschneller Professionalität im Sozialraum: „Die Menschen warten nicht unbedingt darauf, dass wir kommen und sie beglücken.“

Kritisch diskutiert wurde während des Fachtags, wieviel „Wissenschaftlichkeit“ in die sozialraumorientierte Jugendhilfe einfließen sollte. Für Dr. Dieter Kulke, Professor für Sozialwissenschaften an der FHWS, hat es Vorteile, wissenschaftlich zu hinterfragen, ob eine Maßnahme im Sozialraum tatsächlich das bringt, was man sich erhofft hat. Das sei nicht immer der Fall, verdeutlichte er am Beispiel eines Familienzentrums. Zweifellos haben Familienzentren positive Effekte, da sich hier Menschen begegneten, die darüber hinaus nichts miteinander zu tun hätten. Eltern, die ihre kleinen Kinder in die Krippe des Zentrums bringen, treffen z.B. Senioren, die dort Mittag essen. Doch die Ausstrahlung in den Sozialraum sei einer Kulke vorliegenden Untersuchung zufolge gering: „Es gab insgesamt nicht mehr private und nachbarschaftliche Kontakte.“

Über einen zweiten Punkt wurde während des Fachtags kontrovers debattiert: Ist es noch legitim, von einer „sozialraumorientierten Jugendhilfe“ zu sprechen? Wer den Begriff des „Sozialraums“ ernst nähme, könne die Menschen, die in diesem Raum lebten, nicht länger separieren, betonte Professor Dr. Jürgen Burmeister von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heidenheim. Laut dem Leiter des Studiengangs „Soziale Dienste der Jugend-, Sozial und Familienhilfe“ müssten bei Maßnahmen im Sozialraum alle dort lebenden Menschen berücksichtigt werden. Jugendliche ebenso wie Senioren. Familien ebenso wie Menschen mit einem Handicap.

Das 21. „forum jugendhilfe“ wurde vom Kreisjugendamt in Kooperation mit der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heidenheim und der Hochschule Würzburg-Schweinfurt veranstaltet.