Gelebte Interdisziplinarität: Das Institut für Medizintechnik kooperiert mit dem Fraunhofer ISC
„Mehr interdisziplinäres Arbeiten!“ - diese Forderung an das Wissenschaftssystem ist bereits seit einigen Jahren nicht mehr aus Förderlinien und Drittmittelausschreibungen wegzudenken. Dass der Wunsch nach mehr Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftsdisziplinen mehr ist als nur eine Floskel, beweist eine aktuelle Kooperation des Instituts für Medizintechnik (IMES) der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt mit dem Fraunhofer Institut für Silicatforschung (ISC): Während das Fraunhofer ISC Expertise in den Lebenswissenschaften mitbringt, kann das „IMES“ ingenieurwissenschaftliche Methoden beitragen. Auf Grundlage aktueller Erkenntnisse aus Elektrotechnik, Materialwissenschaft, Biologie und Medizin wird so medizintechnische Innovation möglich.
Von dieser Zusammenarbeit profitieren auch die Studierenden an der FHWS. Teresa Herz, Studentin im Fach Elektro- und Informationstechnik, erläutert ihre Motivation: „Die Kooperation ermöglicht Einblicke in interdisziplinäre Projekte, wegweisende Zukunftsthemen und in ein spannendes und vielfältiges Forschungsumfeld.“
Interdisziplinarität als Chance und Herausforderung
Dabei sind Schnittmengen und Erkenntnisinteressen der unterschiedlichen Disziplinen wesentlich größer, als es auf den ersten Blick scheint, wie Professor Dr. Jan Hansmann, stellvertretender Leiter des IMES, betont: „Jedes Medizinprodukt basiert auf Erkenntnissen aus diesen Bereichen. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Herzschrittmacher. Dieser besteht aus einer Elektronik und Materialien, die mit der Umgebung (Biologie) interagieren. Ohne die Kenntnis, wie Reize im und in den Körper übertragen werden (Biomedizin), hätte er aber niemals entwickelt werden können.“
Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es auch Herausforderungen, die bewältigt werden müssen. Diese sind oft begründet in üblichen Methoden und Prämissen der beteiligten Disziplinen. So gibt es beispielsweise unterschiedliche Rahmenbedingungen hinsichtlich der Dauer von Experimenten oder der Angabe von Toleranzen. Professor Hansmann erklärt: „Ingenieure und Ingenieurinnen sind es gewohnt, elektrische Widerstände mit einer definierten Toleranz zu verwenden. Biologinnen und Biologen gehen selten davon aus, dass alle Zellen in einer Zellkultur identisch sind.“ Aber diese Probleme sind lösbar, wie er betont: Eine interdisziplinär denkende Arbeitsgruppe, gegenseitiges Verständnis hinsichtlich angewandter Methoden und Werkzeuge und ein gemeinsames Vokabular helfen dabei, eine Brücke zwischen den beteiligten Disziplinen zu bauen.
Dieses fakultätsübergreifende Denken hilft auch Studierenden dabei, einen neuen Blick auf ihr Fach zu entwickeln. Lior Boulgakov, Student im Fach Mechatronics, erzählt: „Viele Studierende fragen sich irgendwann, was genau ihre Ausbildung mit der `echten Welt` zu tun hat. Die Zusammenarbeit am Fraunhofer ISC hat das für mich in vielerlei Hinsicht beantwortet.“
Lehre und Forschung mit Verantwortung
So können Studierende praktische Verantwortung in der anwendungsorientierten Forschung übernehmen. Lior Boulgakov freut sich über die Möglichkeit, hier selbst mitzugestalten: „Die meisten Projekte, die mir übertragen wurden, mussten von Grund auf neu entwickelt werden. Das heißt, ich musste selbst Forschung betreiben und alle Funktionen, die ich haben wollte, und mögliche Nebeneffekte in das Budget einkalkulieren.“
Durch dieses Zusammenspiel von Forschung und Lehre konnten in der Kooperation mit dem Fraunhofer ISC bereits einige innovative Entwicklungen angestoßen werden. Teil der Zusammenarbeit ist beispielsweise der Aufbau eines „automatisierten Labors“. Während in manchen Bereichen der Lebenswissenschaften bereits automatisiert gearbeitet wird, besteht in der Regenerativen Medizin noch Entwicklungsbedarf. Hier sieht Professor Hansmann den gesellschaftlichen Auftrag für seine Forschung: „Wir arbeiten zusammen daran, die Automatisierungstechnik auch in diesen Feldern voranzutreiben, dass neuartige Ansätze leichter in Anwendung gebracht werden können.“ Ein konkretes Projekt ist der Aufbau einer Roboteranlage am Fraunhofer ISC (Institutsteil TLZ-RT), die Gewebemodelle automatisiert herstellt. Diese Modelle können dann zur Bewertung von Wirkstoffen oder Materialien, die mit dem Köper in Kontakt kommen, verwendet werden. Forschung, die auch langfristig Potenzial hat, wie Professor Hansmann betont: „Die Hoffnung ist, dass irgendwann auch Gewebe für Defekte produziert werden können. Das ist aber noch ein längerer Weg.“
Auch die Studentin Teresa Herz beschäftigt sich in ihrer praktischen Arbeit am Fraunhofer ISC mit der Herstellung zellbasierter Gewebe: „Ziel ist die vollständige Vermeidung von bisher unerlässlichen wissenschaftlichen Tierversuchen“, so die Studentin.
Positive Effekte der Kooperation
Schon heute sind die positiven Effekte der Kooperation mit dem Fraunhofer ISC spürbar: So können Studierende der FHWS beispielsweise Praxiserfahrung sammeln oder ihre Abschlussarbeiten im Rahmen der Kooperation schreiben. Teresa Herz berichtet aus ihrer Erfahrung und betont vor allem den nachhaltigen Grundgedanken ihrer Arbeit: „Das Forschungsumfeld bietet viele Möglichkeiten zur Weiterentwicklung. Besonders gefällt mir, die Zukunft einen kleinen Teil mitzugestalten.“ Und Lior Boulgakov ergänzt: „Die Arbeit am Fraunhofer ISC hat mir viele Türen geöffnet, was meine künftige Karriere angeht. Nun kann ich entscheiden, ob ich beispielsweise Programmierer mit Python oder Ingenieur bei einem Startup werden möchte.“
Aus Sicht des „ISC“ werden Studierende so auch potenziell zu künftigen Mitarbeitenden. Und auf struktureller Ebene ergeben sich für die FHWS und das Fraunhofer ISC Optionen, gemeinsame Anträge auf Fördermittel zu stellen.
Auch die wissenschaftliche Community hat bereits Notiz von der fruchtbaren Zusammenarbeit genommen: Ein gemeinsamer Fachartikel zur Herstellung neuartiger Faserfliesen ist jüngst im renommierten Journal „Advanced Materials“ als Preprint erschienen. „Der Artikel ist ein schönes Beispiel für eine Zusammenarbeit zwischen Elektrotechnik und Biowissenschaften“, wie Professor Hansmann betont.
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