Freie Konfiguration der eigenen, visuellen Realität per Pille: Das Projekt „u/“ entwickelt eine Utopie
Welche Realität wird gewünscht? Wieviel an ihr ist neu, wieviel eine Kombination aus Bekanntem, Herkömmlichem? Dieser Frage haben sich Studierende im Kurs „ECHT. NEU?" bei Prof. Carl Frech gestellt. Die Studierenden Jennifer Baumgart und Fabian Kirchen an der Fakultät Gestaltung der Hochschule Würzburg-Schweinfurt entwickelten ihr Projekt „u/“. Sie überlegten sich zu Beginn, welche Auswirkungen realitätsverändernde Social Media Filter auf die Psyche haben können.
Was wäre, wenn Menschen ihre Realität selbst bestimmen? Beispielsweise in Bubbles in Social Media, in denen man in seiner eigenen Meinung bestärkt wird und wo keine störende Kritik aufkommt oder in der es nur noch schlanke, schöne Menschen gibt. In ihrer Utopie des Startups „u/“ ist es möglich, per App eine Pille individuell zu programmieren. Diese bietet die Möglichkeit, die eigene, visuelle Realität frei zu konfigurieren. Baumgart und Kirchen: „Das Projekt beschäftigt sich mit der Frage, wie unsere Welt aussehen könnte, wenn es Social-Media Filter in der Realität gäbe. Welche Auswirkungen hat es auf unser Umfeld, unsere sozialen Kontakte und unsere Gefühle, wenn wir das, was wir sehen, komplett frei verändern können?“
Was ist Realität, was bewirken Filter?
In ihrem Gedankenexperiment wird 2027 eine Möglichkeit gefunden, die Sinne ohne Nebenwirkungen zu beeinflussen. Die Wahrnehmung kann gezielt verändert werden – das visuelle Empfinden, der Geschmack, Geruch und der Klang. 2029 soll die App den Markt erobern. Der fiktive Redakteur Fabian Müller erhält die Konfigurations-Pille zur Vorab-Berichterstattung und probiert sie an sich selbst aus. Am nächsten Morgen nach der Einnahme begrüßt ihn in seiner Wohnung statt seiner Freundin eine Unbekannte. Sie entspricht dem Idealbild einer Frau, „wie man es von Influencerinnen und großen Parfum-Kampagnen kennt“ - bildhübsch, lange blonde Haare, makellose Haut, Traumfigur. Doch statt Freude zu zeigen, ist er geschockt: Es ist ihm unmöglich, Zeit mit der seltsamen und doch unbekannten Person zu verbringen.
Die beiden Studierenden haben sich mit den Begriffen Realität und Filter auseinandergesetzt. In welche Richtung sich Social Media Filter in der Zukunft bewegen könnten, sei ihnen noch unklar, auch, welche ethischen Fragen aufgeworfen werden könnten, welche Rolle eine Realität spiele, über deren Wahrnehmung Menschen die volle Kontrolle hätten.
Vom Reset der Wahrnehmungen
Über fiktive Redaktionsartikel, Bewertungsportale, Anzeigen und Posts in Social-Media-Kanälen zeichnen die Kommunikationsdesigner verschiedene Reaktionsmuster auf. „Zum Schluss“, so Baumgart und Kirchen, „haben wir uns dazu entschieden, ein Extrem zu erreichen und die Dystopie (negative Utopie) dahinter auszumalen, indem wir die Funktionen von Social Media Filtern und Drogen kombinieren.“ Aldous Huxley hatte in seinem Roman „Schöne neue Welt“ 1932 negative Stimmungsschwankungen vermeiden wollen mit seiner stimmungsaufhellenden Pille „Soma“. „u/“ indes geht weiter: Mit ihr lässt sich via App die eigene Wahrnehmung komplett selbst konfigurieren. Zu einem „Reset der Wahrnehmung“ könnte man gelangen durch weitere Filter, die vorhandene rückgängig machen und die Welt wieder „real“ aussehen lassen.
Weitere Informationen zum „Project u/"
Kontakte:
Fabian Kirchen
Jennifer Baumgart