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Der „DMW Walter Siegenthaler Preis“ für Studie zu Patientenverfügungen geht nach Würzburg

05.05.2022 | thws.de, Pressemeldung, FAS
Behandlungsmaßnahmen: Forscherteam der FHWS und des Universitätsklinikums Würzburg analysierte Vorsorge-Dokumente

Je konkreter eine Patientenverfügung formuliert ist, desto besser können Ärztinnen und Ärzte den individuellen Behandlungswünschen ihrer Patientinnen und Patienten entsprechen. Ein Forschungsteam aus Würzburg hat untersucht, welche Vorsorgedokumente Bewohnende von stationären Pflegeeinrichtungen hinterlegt haben und was in Patientenverfügungen festgehalten ist. Die Ergebnisse haben sie 2021 in der Thieme Fachzeitschrift „DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift“ publiziert.

Für ihre Originalarbeit „Patientenverfügungen von Bewohnenden in Pflegeeinrichtungen – welche Behandlungssituationen und Behandlungsmaßnahmen werden vorausverfügt?“ erhalten die Autor*innen den diesjährigen „DMW Walter Siegenthaler Preis“. Die Auszeichnung wurde am 2. Mai 2022 im Rahmen des 128. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) verliehen.

In die Studie sind Daten aus 13 stationären Pflegeeinrichtungen in und um Würzburg eingeflossen. Der Soziologe Malte Klemmt, die Psychologin Professorin Dr. Silke Neuderth und die Rechtswissenschaftlerin Professorin Dr. Tanja Henking von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt haben in den Einrichtungsakten hinterlegte Dokumente erfasst und ausgewertet. Dabei haben sie mit der Medizinerin Professorin Dr. Birgitt van Oorschot, Leitende Oberärztin am Interdisziplinären Zentrum für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Würzburg, zusammengearbeitet. Die Arbeit ist im Rahmen des Forschungsschwerpunktes „Autonomie im Gesundheitswesen (AuGe)“ entstanden. Dieser wird seit 2018 von den Professorinnen Henking und Neuderth geleitet und vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert.

Hirnabbauprozesse sind die am häufigsten genannten Behandlungssituationen

Insgesamt 556 der 832 Bewohnenden (67 Prozent) haben mindestens ein Vorsorgedokument hinterlegt. Darunter sind Patientenverfügungen, Vorsorge- und Generalvollmachten, Betreuerverfügungen, Notfallpläne oder Kombinationen verschiedener Dokumente. Inhaltlich haben die Wissenschaftler*innen ausschließlich die vorliegenden 265 Patientenverfügungen analysiert. Pro Dokument sind darin durchschnittlich acht Behandlungssituationen benannt, die mit Behandlungswünschen oder -ablehnungen verbunden sind. Die am häufigsten angeführte Behandlungssituation ist mit rund 88 Prozent ein fortschreitender Hirnabbauprozess u.a. infolge von Alzheimer oder einer Demenzerkrankung. Ein unabwendbarer Sterbeprozess sowie eine irreversible Gehirnschädigung folgen mit rund 74 und 73 Prozent.

Symptomlindernde Maßnahmen eher ja – künstliche Ernährung überwiegend nein

Darüber hinaus sind durchschnittlich sechs Behandlungsmaßnahmen dokumentiert, die entweder gewünscht oder abgelehnt werden. Symptomlindernde Maßnahmen wünschen sich etwa 91 Prozent. Lebensverlängernde Maßnahmen wie künstliche Ernährung oder Flüssigkeitszufuhr lehnen rund 95 Prozent der Bewohnenden, in Verbindung mit bestimmten Behandlungssituationen, ab.

Wiederbelebung kaum erwünscht

In rund drei Viertel (76,2 Prozent) der Patientenverfügungen führen die Bewohnenden Reanimationsversuche an, die sie in den meisten Fällen (94,5 Prozent) ablehnen. Die Wiederbelebungsmaßnahmen sind in fast 89 Prozent der Fälle mit bestimmten Behandlungssituationen verknüpft. Wer es ablehnt, reanimiert zu werden, verbindet das oft mit einem fortschreitenden Hirnabbauprozess oder einer tödlichen Erkrankung. Wer einer Wiederbelebung zustimmt, tut dies beispielsweise im Zusammenhang mit einem Unfall oder im Hinblick auf mögliche Komplikationen im Rahmen einer Operation.

Die meisten Verfügungen basieren auf Vorlagen

Ein weiteres Ergebnis: In 94 Prozent aller analysierten Patientenverfügungen werden Textbausteine verwendet. Im Ernstfall helfen die oft pauschalen Formulierungen Ärztinnen und Ärzten jedoch nicht, daraus den individuellen Patientenwillen abzuleiten. Floskeln, wie „die Ermöglichung eines würdevollen Sterbens“ oder die Zustimmung zu „lebensverlängernden Maßnahmen“ mindern die Aussagekraft der Verfügungen. Oftmals sind sie nicht eindeutig genug verfasst, um medizinische Entscheidungsfindungsprozesse zu unterstützen.

Professor Dr. med. Martin Middeke, Vorsitzender der Jury und Schriftleiter der Fachzeitschrift „DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift“, betont: „Die Arbeit von Malte Klemmt, Silke Neuderth, Tanja Henking und Birgitt van Oorschot liefert wertvolle Erkenntnisse darüber, welche medizinisch-pflegerischen Behandlungsmaßnahmen von Bewohnenden stationärer Pflegeeinrichtungen gewünscht oder abgelehnt werden. Das ist wichtig, um einer ungewollten Überversorgung am Lebensende entgegenzuwirken. Darüber hinaus zeigt sich, dass bestehende Informations- und Beratungsangebote weiter ausgebaut und verbessert werden müssen. Nur so können Patientinnen und Patienten befähigt werden, ihre Wünsche vorab möglichst konkret festzuhalten.“

Die Originalarbeit ist Open Access veröffentlicht und frei zugänglich abrufbar

Der DMW Walter Siegenthaler Preis

Die 1875 gegründete DMW, die seit 1887 im Georg Thieme Verlag erscheint, vergibt die nach dem Schweizer Internisten Professor Dr. med. Dr. h. c. Walter Siegenthaler (1923–2010) benannte Auszeichnung in diesem Jahr zum 23. Mal. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis zeichnet Autorinnen und Autoren aus, deren Forschungsarbeit im Vorjahr in der DMW publiziert wurde und prägenden Einfluss auf Medizin und Gesundheit genommen hat und nimmt.

(Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Thieme Verlages