Interview mit Prof. Dr. Vera Taube
Angewandte Sozialwissenschaften
Erziehungswissenschaft in der Sozialen Arbeit, Leitung des Vertiefungsbereichs Kinder-, Jugend- & Familienhilfe, Sprecherin der Fachgruppe Promotionsförderung (DGSA)
Frau Professor Taube, wie kam es dazu, dass Sie Professorin wurden?
Ich war Sozialarbeiterin und hatte es erst mal nicht vor. Im Rahmen von Erasmus war ich in Finnland und dort hat ein Professor mir vorgeschlagen, zu promovieren. Das ist hier an der THWS, insbesondere in der Sozialen Arbeit nicht möglich. Schon vor der Promotion habe ich Lehraufträge übernommen und fand diese Arbeit großartig.
Künftige Kolleg:innen auszubilden, begeistert mich. Ich bin seit 2021 hier und die fröhlichste Erziehungswissenschaftsprofessorin, die die THWS je gehabt hat.
Den Studierenden versuche ich zu verdeutlichen, wie sehr die Theorie die praktische Soziale Arbeit verbessert. Ich erkläre das so: Eine obdachlose Person schläft am Bahnhof. Je nachdem, mit welcher Brille ich da draufschaue, zum Beispiel mit Johann Pestalozzi, einem Pädagogen oder mit Burrhus Skinner, der Psychologe war, mache ich mir ganz unterschiedliche Gedanken über die Situation dieser Person bzw. wie ich darauf reagiere. Und nur wenn ich all diese verschiedenen Blickwinkel kenne, kann ich entscheiden, welcher in dieser Situation der hilfreichste und beste für meinen Auftrag als Sozialarbeiterin ist.
Die Praxis vermisse ich allerdings sehr – meine Sozialarbeiterkolleg:innen und die Kinder, mit denen ich gearbeitet habe. Einen Fall betreue ich noch. Das tut meiner Lehre natürlich gut – es verhindert, dass ich die Bodenhaftung verliere und anfange zu predigen.
Was war eigentlich das Thema Ihrer Promotion?
Mein Thema waren sogenannte Systemsprenger:innen. Es gibt intensivpädagogische Maßnahmen, solche Kinder in einem Eins-zu-eins-Setting in ein abgelegenes Milieu zu schicken, wo sie mit ihrem Betreuer oder ihrer Betreuerin unter basalen Bedingungen zusammenleben müssen, zum Beispiel irgendwo im finnischen Wald bei -30 Grad. Diese Praxis ist hochstrittig, aber laut Wissenschaft wirksam. Ich habe ein praxisbasiertes Modell entwickelt, wie es gelingen kann, eine Beziehung zu den jungen Menschen aufzubauen, an die keine:r mehr herankommt und wie dieses Setting dabei unterstützend wirkt. Die Umgebung und die Umstände sind notwendig, damit weder das Kind, noch der Erwachsene eine Fluchtmöglichkeit hat. Unter den faktisch geschlossenen Bedingungen lernen die beiden, sich wieder zu vertrauen und gemeinsam ihren Alltag zu bewältigen. Etwas, das zu Hause im Hilfesystem nicht mehr gelingt.
Was genau macht Ihnen am Professorinnenjob so viel Spaß? Und welche sind für Sie die guten Momente bei Ihrer Arbeit?
Ich liebe die hohe Gestaltungsmöglichkeit. Ob ich ein Buch schreibe, Kongresse besuche, mit Expert:innen spreche, ein Forschungssemester in Finnland mache oder eine Mischung aus allem – das entscheide ich. Vorausgesetzt, dass ich mich wissenschaftlich mit meinen Themen beschäftige und mit meinem Wissen, das ich an die Studierenden vermittle, am Puls der Zeit bin.
Ob ich viel schreibe oder rede oder eine Mischung daraus, das obliegt mir. Die Strukturen erlauben mir zum Beispiel so etwas wie eine Gastprofessur in Finnland. Ich muss dann zwar jede Menge Anträge stellen und das mit Nerven und Schweiß bezahlen, aber es gibt die Möglichkeit das zu tun.
Ich kann mich zudem international vernetzen; auch nach Großbritannien, China und Japan habe ich zum Beispiel Beziehungen. Die europäische Sozialarbeitskonferenz besuche ich ebenfalls regelmäßig und und und.
Die Lehrveranstaltungen mag ich auch sehr, also den Kontakt und Austausch mit den Studierenden. Wir bringen uns meistens gegenseitig etwas bei, auch ich lerne hier immer wieder neue Ideen und Sichtweisen kennen. Und sind da noch meine Arbeitskreistreffen, wo ich mit Leuten zu tun haben, die das gleiche Ziel haben wie ich und wir gemeinsam die Hochschule gestalten und weiterentwickeln.
Bestimmt gibt es auch Herausforderungen.
Die Bürokratie frisst viel Zeit. Und es kann auch mal sein, dass Vorhaben daran scheitern. Wir sind eben eine Behörde: Anträge dauern, Entscheidungen dauern – das ist alles langwieriger als in der freien Wirtschaft.
Ein anderer Punkt ist: Ich will innovative Lehre machen, aber manchmal sind die Studierenden noch nicht so weit. Wenn man keinen Frontalunterricht macht, fühlen sie sich schnell überfordert oder trauen sich nicht, selbst oder gemeinsam an Problemstellungen zu arbeiten oder eine Idee zu äußern, weil sie noch nicht ausreichend durchdacht ist.
Was sagen Sie den Frauen: Warum sollte man Professorin werden?
Wenn du das Belegexemplar von dem Buch im Briefkasten findest, auf dem dein Name als Autorin steht, ist das cool. Wenn man dich als Expertin bittet, einen Vortrag zu halten, ist das cool. Oder wenn ich auf internationalen Konferenzen unterwegs bin. Wenn ich als Expertin gebeten werde, Vorträge zu halten. Und dann hat man vielleicht ein Netzwerk von Frauen, in ganz Deutschland und auch international – Mitstreiterinnen! Das macht so viel Spaß. Und es ist gut, wenn Frauen sowas machen.
Die akademische Welt ist zudem viel frauenfreundlicher geworden als früher. Wir sind heute an der THWS zum Beispiel viel diskursorientierter als früher. Es gibt viel mehr formalisierte Gelegenheiten, sich zu äußern, auszutauschen und mitzuentscheiden. Dazu gehört allerdings, dass Frau Zeit und Raum hat, in den entsprechenden Gremien zu sitzen und sich dort zu engagieren. Das hängt stark von der persönlichen Situation und der Situation an der Fakultät ab. An der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften sind Frauen sehr stark in Gremien engagiert, auch über die Fakultät hinaus.
Frau Professor Taube, vielen Dank für das spannende Gespräch.
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