Interview mit Prof. Judith Glaser
Gestaltung
Neoanaloge Objektgestaltung / Design in digitalen Lebens- und Wissenswelten, Prodekanin
Frau Professor Glaser, Sie sind seit dem Sommersemester 2023 Professorin an der THWS. Es gibt immer noch viel zu wenige Professorinnen an den deutschen Hochschulen. Wir brauchen weibliche Vorbilder, die uns inspirieren und zeigen, dass dieser Weg für Frauen möglich ist. Würden Sie uns erzählen, wie es dazu kam, dass Sie Professorin wurden?
Ja, gerne. Nach dem Abitur wollte ich unbedingt etwas Praktisches arbeiten und habe eine Ausbildung zur Goldschmiedin gemacht. Nach meinem Abschluss verbrachte ich eine Saison als Goldschmiedegesellin auf Korfu (Griechenland). In dieser Zeit habe ich in einer Schmuckgalerie eigene Entwürfe kreiert und verkauft. Zudem hat die Galerie Workshops und Ausstellungen veranstaltet, bei denen ich mitgewirkt habe – den Showroom mitgestaltet, unterrichtet, alles was anfiel.
Wann und wie kamen Sie dann darauf, sich tiefergehend mit Kunst bzw. Gestaltung auseinanderzusetzen?
Mein Chef in der Galerie auf Korfu hat mich darauf gebracht. Ich hatte überlegt, was ich im Anschluss an meine Zeit auf Korfu machen solle. Er meinte irgendwann: „Wäre Produktdesign nicht etwas für dich?“ Nach meiner Erinnerung hatte er wahrgenommen, dass ich breit bezüglich meiner Interessen und Fähigkeiten aufgestellt war. Ich hatte diese Option tatsächlich nicht auf dem Schirm – also habe ich mich mit diesem Gedanken auseinandergesetzt. Alternativ hatte ich auch den Meister im Handwerk in Betracht gezogen, aber letztendlich hat mich die Idee die Gestaltung statt des Handwerks zu vertiefen fasziniert.
Schmuck habe ich allerdings weiter gemacht, um mein Studium zu finanzieren. Eine weitere wichtige Station war für mich Nepal. Im Rahmen eines Wirtschaftsförderungsprojekts habe ich dort in zwei aufeinanderfolgenden Jahren jeweils für mehrere Monate Goldschmiedekurse gegeben. Nepal hat ein reiches Goldschmiedehandwerk und sehr talentierte Goldschmiede*innen. Die Projektidee war der Verkauf von nepalesischem Schmuck auf dem europäischen Markt. Allerdings haben nepalesische Handwerker*innen einen anderen Blick auf Schmuck und eine eigene Formensprache. Um diese eigene Identität und die europäischen „Bedürfnisse“ zusammenzuführen gab es unsere Kurse. Die Kurse in Nepal habe ich während meiner Semesterferien gegeben. Parallel habe ich im Studium die verschiedenen Positionen zwischen Kunst und Gestaltung kennengelernt. Schritt für Schritt habe ich mich in dieser Zeit von der ursprünglichen Idee des „Produkts“ gelöst.
Im Rahmen meiner Bachelorarbeit habe ich eine Materialstudie durchgeführt und dabei festgestellt, dass ich ein großes Interesse an der "Forschung durch Gestaltung" habe.
In der Studie habe ich mir Holz, Leder und Keramik angeschaut und versucht aus gestalterischer Sicht herauszufinden, warum wir diese Materialien oft als wertvoller empfinden, wenn sie altern. Die Versuchsreihen mit Hartschäumen sowie anderen Kunststoffen, aber auch Textilien und Keramiken, führten zu Kategorien, wie Materialien Gebrauchsspuren unterschiedlich aufnehmen. Leder zum Beispiel ist „porös“– es nimmt Pflege entgegen, ich kann etwas hineingeben, es erhalten. In der Folge erhöht sich die „Bindung“ zum Gegenstand. Der Gebrauch erzeugt ein „mehr“, dass wir antizipieren können. Dabei spielen Formgebung und Material zusammen.
Das Problem mit Minimalformen vieler zeitgenössischer Produkte ist, dass ihnen nichts hinzugefügt werden kann, etwa beim iPhone. Es ist formal vollendet. Alles, was ich als Nutzer*in hinzufüge, kann nur als Störung wahrgenommen werden. Darum stecken wir es in Hüllen und wollen jede Form von Gebrauchspuren ausschließen.
An dieses Herangehen schließen sich Fragestellungen der Langlebigkeit, Suffizienz und Resilienz an, aber auch Konzepte wie Gebrauchsspuren als Informationsträger verwenden werden können. Sodass die Dinge lange von Wert sind oder sogar an Wert gewinnen. Oder anders gesagt: Wie kann ich Produkte so konzipieren, dass sie durch Gebrauch aufgewertet werden?
Sie haben dann den Master gemacht. Was kam danach?
Schon im Master hatte ich im Rahmen des Excellenzclusters „Bild. Wissen. Gestaltung“ in einem Projekt mitgearbeitet, in dem Gestalter*innen, Neurolog*innen und Geisteswissenschaftler*innen an bildgebenden Verfahren für medizinische Operationen geforscht haben. Dabei ging es sowohl um die Praktiken der Ärztin, des Arztes (und aller weiteren Aktanten) im OP als auch um die Bildgebung an sich. Im Exzellenzcluster und dessen Nachfolger „Matters of Activity“ an dem ich Assoziierte Forscherin bin, hat die Gestaltung als erkenntnisbringende Praktik einen wichtigen Stellenwert. Es hat meine Vorstellung von Zusammenarbeit verschiedenster Disziplinen an einem Forschungsgegenstand enorm geprägt.
Nach dem Master war ich als freischaffende Gestalterin zunächst verstärkt in medizinischen Projekten involviert.
Wie ging es weiter?
Als freischaffende, später festangestellte, Gestalterin kam ich zu Studio NAND. Das Studio ist auf datengetriebene und interaktive Technologien spezialisiert und realisiert Projekte mit Industriepartnern aber auch Kultur- und Forschungseinrichtungen. Parallel dazu habe ich an der Kunsthochschule Weißensee, der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle und der FU Berlin Lehraufträge übernommen. Diese Arbeit hat mir viel Spaß gemacht. Ich war in einem intensiven Austausch mit den Studierenden und konnte ihnen gerade mit meiner praktischen Erfahrung in ihren Projekten gut weiterhelfen.
Die Idee, eine Professur zu übernehmen, ist langsam in mir gereift. Allerdings war es eher ein vager „Plan“ für später, trotz einer Gastprofessur an der Kunsthochschule Weißensee Berlin. Dann war ich total überrascht, als ich die Stellenausschreibung für eine Professur an der THWS gefunden habe – sie schien hundertprozentig auf mich zugeschnitten. Ich habe zunächst gezögert und mich dann doch beworben.
Bei der Probevorlesung an der THWS haben die Kolleg*innen einen tollen Eindruck gemacht, vor allem zwischenmenschlich. Zudem konnte ich wunderbare Arbeiten von Studierenden sehen. Deswegen war ich sehr glücklich, als die Zusage kam. Verlockend fand ich auch, dass hier viel interdisziplinär gearbeitet wird, insbesondere dass die Informatik im gleichen Gebäude sitzt. Bei einem vorherigen Projekt „Coding IxD“, in dem wir Studierende der Informatik und des Designs gemeinsam unterrichtet haben, war der Weg, die räumliche Distanz, immer ein Thema. Zudem finde ich die Möglichkeit spannend, im Ausland zu lehren und zu forschen.
Ist an der THWS alles so, wie Sie es sich vorgestellt hatten? Oder gab es auch Überraschungen?
Hier ist die Fakultät viel größer und es gibt es viel mehr Studierende als an der Burg oder in Weißensee. Das ist schon anders für mich.
Ich bin zudem Interaktionsdesignerin mit Hintergrund im Produkt. An der Fakultät liegt der Schwerpunkt auf visueller Kommunikation z.B. auf Fotografie, Animation oder Illustration. Das Dreidimensionale ist nicht so selbstverständlich, dachte ich, freue mich aber zu entdecken, dass es doch einige Studierende umtreibt und ich das Gefühl habe an der Schnittstelle Digital-Analog einiges beitragen zu können.
Auch neu für mich: Bei meiner früheren Lehrtätigkeit habe ich Studierende ab dem vierten Semester unterrichtet. Nun kann ich auch mit Studierenden ab dem ersten Semester arbeiten und gestalterische Grundlagen vermitteln. Das ist etwas Besonderes für mich und macht mir enorm viel Spaß – das hätte ich nicht erwartet. Es ist schön, die Leute vom Anfang bis zum Ende ihres Studiums zu begleiten.
Die Fakultät ist sehr aktiv im Bereich der gestalterischen Forschung – inzwischen besteht ein Konsones, dass Gestaltung Wissen produziert. Eine offene Diskussion gibt es vor allem im Bereich der institutionelle Einbindung der diversen Praktiken.
Wie gefällt Ihnen Würzburg?
Mein morgendlicher Weg zu Fakultät führt aus der Zellerau den Berg herunter über die alte Mainbrücke in die Altstadt. Und jedes Mal denke ich mir: Wie schön. Die Würzburger empfinde ich als sehr offen und freundlich. Allerdings ist man aus dem „muffeligen“ Berlin kommend auch einiges gewohnt.
Was würden Sie Frauen mitgeben, wenn sie ebenfalls mit dem Gedanken einer Professur spielen?
Ich habe den Eindruck, dass viele Frauen oft erst gar nicht auf die Idee kommen, dass sie Professorin werden könnten. Es ist mir auch in meinem persönlichen Umfeld aufgefallen, dass Frauen oft den Fokus darauflegen, was sie nicht können. Selbst beim Lesen von Ausschreibungen wirkt sich dies aus. Daher mein erster Tipp – die Ausschreibung mit anderen Augen lesen und sich darauf fokussieren, was „Frau“ kann. Niemand ist in allen Bereichen eine Expertin.
Was wir selbst als Standard wahrnehmen, das sollten wir aufgliedern in die Fähigkeiten, die dahinterstehen. Wie oft habe ich gehört: „Ja, aber das ist ja wohl selbstverständlich.“ Dabei ist die Antwort „Nein, es ist nicht selbstverständlich – es sind wichtige Fähigkeiten im Bereich Projektmanagement, Öffentlichkeitskommunikation etc.“
Gestalterinnen haben nach der Schwangerschaftspause oft das Gefühl, ihre gestalterische Arbeit sei nach der Pause out of date und ohne neue Arbeiten bräuchten sie sich gar nicht erst bewerben. Aus meiner Sicht hat diese Pause keine Auswirkung auf die Qualität der Arbeit, insbesondere wird diese nicht durch die Pause gemindert. Die vorher geschaffen Projekte sind immer noch exzellent und sind in der Regel weiterhin gesellschaftlich relevant. Diese Art der Zweifel an eigenen älteren Arbeiten kenne ich auch von mir selbst und muss mich auch selbst daran erinnern, dass die eigene Haltung zu Projekten auch regelmäßig selbstreflektiert werden muss.
Wer hat Ihr Frauenbild geprägt?
Das ist „natürlich“ meine Mutter als Erste zu nennen, sie hat mir vor allem gezeigt, dass ein Bildungsweg nicht linear sein muss. Meine Ausbilderin im Handwerk und meine langjährige Chefin Michaela Binder in ihrer Schmuck-Galerie sind prägend. Allgemein hatte und habe ich das Glück mit vielen großartigen Frauen aus verschiedenen Bereichen zusammenzuarbeiten. Besonders sind dabei meine beiden Mentorinnen zu nennen – Carola Zwick ist Gestalterin/ Mitgründerin des Studios 7.5. und Professorin für Produktdesign von der Berliner Kunsthochschule Weißensee. Sie hat meine Vision, dass man beides zusammen denken kann geprägt. Meine zweite Mentorin - Claudia Müller-Birn ist Professorin am Institute für Informatik der Freien Universität Berlin und leitet die Forschungsgruppe Human Centered Computing. Sie hat mich vor allem dazu inspiriert auch in andere Bereiche außerhalb der Gestaltung zu schauen. Beide haben mein Bild von Frauen in der akademischen Welt geprägt und fördern mich bei meinem Weg.
Wir hätten Ihnen so gerne noch stundenlang zugehört. Vielen Dank, Frau Professor Glaser.
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